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DIE SCHRECKEN DER DEUTSCHEN SPRACHE
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

DIE SCHRECKEN DER DEUTSCHEN SPRACHE

ADDRESS TO THE VIENNA PRESS CLUB, NOVEMBER 21, 1897, AS DELIVERED IN GERMAN

ES hat mich tief geruhrt, meine Herren, hier so gastfreundlich empfangen zu werden, von Kollegen aus meinem eigenen Berufe, in diesem von meiner eigenen Heimath so weit entferntem Lande. Mein Herz ist voller Dankbarkeit, aber meine Armuth an deutschen Worten zwingt mich zu groszer Sparzamkeit des Ausdruckes. Entschuldigen Sie, meine Herren, dasz ich verlese, was ich Ihnen sagen will. (Er las aber nicht, Anm. d. Ref.) Die deutsche Sprache spreche ich nicht gut, doch haben mehrere Sachverstandige mich versichert, dasz ich sie schreibe wie ein Engel. Mag sein-ich weisz nicht. Habe bis jetzt keine Bekanntschaften mit Engeln gehabt. Das kommt spater-wenn's dem lieben Gott gefallt-es hat keine Eile.

Seit lange, meine Herren, habe ich die leidenschaftliche Sehnsucht gehegt, eine Rede auf Deutsch zu halten, aber man hat mir's nie erlauben wollen. Leute, die kein Gefuhl fur die Kunst hatten, legten mir immer Hindernisse in den Weg und vereitelten meinen Wunsch-zuweilen durch Vorwande, haufig durch Gewalt. Immer sagten diese Leute zu mir: "Schweigen Sie, Ew. Hochwohlgeboren! Ruhe, um Gotteswillen! Suche eine andere Art und Weise, Dich lastig zu machen."

Im jetzigen Fall, wie gewohnlich, ist es mir schwierig geworden, mir die Erlaubnisz zu verschaffen. Das Comite bedauerte sehr, aber es konnte mir die Erlaubnisz nicht bewilligen wegen eines Gesetzes, das von der Concordia verlangt, sie soll die deutsche Sprache schnutzen. Du liebe Zeit! Wieso hatte man mir das sagen konnen-mogen-durfen-sollen? Ich bin ja der treueste Freund der deutschen Sprache-und nicht nur jetzt, sondern von lange her-ja vor zwanzig Jahren schon. Und nie habe ich das Verlangen gehabt, der edlen Sprache zu schaden, im Gegentheil, nur gewunscht, sie zu verbessern; ich wollte sie blos reformiren. Es ist der Traum meines Lebens gewesen. Ich habe schon Besuche bei den verschiedenen deutschen Regierungen abgestattet und um Kontrakte gebeten. Ich bin jetzt nach Oesterreich in demselben Auftrag gekommen. Ich wurde nur einige Aenderungen anstreben. Ich wurde blos die Sprachmethode-die uppige, weitschweifige Konstruktion-zusammenrucken; die ewige Parenthese unterdrucken, abschaffen, vernichten; die Einfuhrung von mehr als dreizehn Subjekten in einen Satz verbieten; das Zeitwort so weit nach vorne rucken, bis man es ohne Fernrohr entdecken kann. Mit einem Wort, meine Herren, ich mochte Ihre geliebte Sprache vereinfachen, auf dasz, meine Herren, wenn Sie sie zum Gebet brauchen, man sie dort oben versteht.

Ich flehe Sie an, von mir sich berathen zu lassen, fuhren Sie diese erwahnten Reformen aus. Dann werden Sie eine prachtvolle Sprache besitzen und nachher, wenn Sie Etwas sagen wollen, werden Sie wenigstens selber verstehen, was Sie gesagt haben. Aber ofters heutzutage, wenn Sie einen meilen-langen Satz von sich gegeben und Sie sich etwas angelehnt haben, um auszuruhen, dann mussen Sie eine ruhrende Neugierde empfinden, selbst herauszubringen, was Sie eigentlich gesprochen haben. Vor mehreren Tagen hat der Korrespondent einer hiesigen Zeitung einen Satz zustande gebracht welcher hundertundzwolf Worte enthielt und darin waren sieben Parenthese eingeschachtelt und es wurde Das Subjekt siebenmal gewechselt. Denken Sie nur, meine Herren, im Laufe der Reise eines einzigen Satzes musz das arme, verfolgte, ermudete Subjekt siebenmal umsteigen.

Nun, wenn wir die erwahnten Reformen ausfuhren, wird's nicht mehre so arg sein. Doch noch eins. Ich mochte gern das trennbare Zeitwort auch ein Bischen reformiren. Ich mochte Niemand thun lassen, was Schiller gethan: Der hat die ganze Geschichte des dreizigjahrigen Krieges zwischen die zwei Glieder eines trennbaren Zeitwortes eingezwangt. Das hat sogar Deutschland selbst emport; und man hat Schiller die Erlaubnisz verweigert, die Geschichte des hundert Jahrigen Krieges zu verfassen-Gott sei's gedankt. Nachdem alle diese Reformen festgestellt sein werden, wird die deutsche Sprache die edelste und die schonste auf der Welt sein.

Da Ihnen jetzt, meine Herren, der Charackter meiner Mission bekannt ist, bitte ich Sie, so freundlich zu sein und mir Ihre werthvolle Hilfe zu schenken. Herr Potzl hat das Publikum glauben machen wollen, dasz ich nach Wien gekommen bin, um die Brucken zu verstopfen und den Verkehr zu hindern, wahrend ich Beobachtungen sammle und aufzeichne. Lassen Sie sich aber nicht von ihm anfuhren. Meine haufige Anwesenheit auf den Brucken hat einen ganz unschuldigen Grund. Dort giebt's den nothigen Raum. Dort kann man einen edlen, langen, deutschen Satz ausdehnen, die Bruckengelander entlang, und seinen ganzen Inhalt mit einem Blick ubersehen. Auf das eine Ende des Gelanders klebe ich das erste Glied eines trennbaren Zeitwortes und das Schluszglied klebe ich an's andere Ende-dann breite ich den Leib des Satzes dazwischen aus. Gewohnlich sind fur meinen Zweck die Brucken der Stadt lang genug: wenn ich aber Potzl's Schriften studiren will, fahre ich hinaus und benutze die herrliche unendliche Reichsbrucke. Aber das ist eine Verleumdung. Potzl schreibt das schonste Deutsch. Vielleicht nicht so biegsam wie das meinige, aber in manchen Kleinigkeiten viel besser. Entschuldigen Sie diese Schmeicheleien. Die sind wohl verdient. Nun bringe ich meine Rede um-nein-ich wollte sagen, ich bringe sie zum Schlusz. Ich bin ein Fremder-aber hier, unter Ihnen, habe ich es ganz vergessen. Und so, wieder, und noch wieder-biete ich Ihnen meinen herzlichsten Dank!